Die Zahl von bewusst falsch deklarierten Lebensmitteln steigt weltweit. Für die Schweiz werden strengere Massnahmen gefordert, um Food Fraud zu bekämpfen.
Pferdefleisch in Fertig-Lasagnen: wohl einer der bekanntesten Fälle von Lebensmittelbetrug der vergangenen Jahre. Zwar sind die Wogen rund um den Fleischskandal längst geglättet – die Zahl von Food Fraud-Fällen nimmt jedoch weltweit zu. Das Geschäft mit falsch deklarierten Lebensmitteln gilt als äusserst lukrativ. Neben Olivenöl, welches als das meistgefälschte Lebensmittel Europas gilt, sind von aufgespritzten Garnelen über falsch deklarierten Fisch bis hin zu mit Laub gestreckten Kräutern verschiedenste Produkte betroffen. Mit schärferen Kontrollmechanismen versucht die EU seit zwei Jahren verstärkt Fälschungen oder Veränderungen von Lebensmitteln frühzeitig zu entdecken und die Konsumenten zu schützen. – Massnahmen, die in der Schweiz bislang fehlen und von Kritikern klar gefordert werden.
Doch wo fängt Food Fraud an und warum sind manche Lebensmittel besonders betroffen? Mit welchen Mitteln gehen die EU-Länder dagegen vor und wie könnten auch der Schweizer Handel sowie die Verbraucher besser geschützt werden? Ein Überblick.
Was ist Food Fraud?
Lebensmittelbetrug oder Food Fraud hat eine lange Geschichte. Schon im Mittelalter wurde hochwertige Ware durch preisgünstigere ersetzt. Der Wirt im Gasthaus streckte den Rotwein mit Wasser, der Bäcker mischte Sägemehl ins Brot, um das Mehl zu verlängern. Damals wie heute ist für die Konsumenten der Lebensmittelbetrug sensorisch kaum bis gar nicht erkennbar. Ebenso ist es für Nahrungsmittelproduzenten und Händler schwer, den Betrug – beispielsweise an gelieferten Rohstoffen – aufzudecken.
Obwohl Food Fraud weltweit jährlich etwa 30 Milliarden Franken Schaden anrichtet, fehlt sowohl in der Schweiz als auch in der EU eine offizielle Definition des Begriffs. Vielmehr hat er sich in den vergangenen Jahren – spätestens seit dem Pferdefleisch-Skandal – im allgemeinen Sprachgebrauch festgesetzt. Von Food Fraud wird gesprochen, wenn vorsätzlich Lebensmittel auf den Markt gebracht werden, deren Inhaltsstoffe nicht mit den auf der Verpackung angegebenen übereinstimmen. In der Regel werden teure Produkte mit günstigeren gestreckt, um die Herstellungskosten unten und den Verkaufspreis oben zu halten. Beim Food Fraud gilt die Faustformel: Je teurer oder nachgefragter ein Produkt ist, desto mehr lohnt sich der Lebensmittelbetrug.
Das Lebensmittel wie beispielsweise Gewürze mit teils unerlaubten Zusätzen gestreckt werden, kann schlimmstenfalls schwere gesundheitliche Folgen für Verbraucher nach sich ziehen. Enthält ein Produkt eine nicht ausgewiesene allergieerregende Zutat (Allergen), ist dies für Allergiker unter Umständen lebensbedrohlich.
Warum sind Kräuter wie Oregano von Food Fraud betroffen?
Olivenöl wird mit minderwertigen Ölen gestreckt, Garnelen werden mit Wasser aufgespritzt und teure Gewürze wie Safran mit Stärke, Zwiebeln oder gefärbtem Gras angereichert: Die Liste der Food Fraud-Fälle ist lang. Neben den beschriebenen teuren Lebensmitteln stehen auch stark nachgefragte Produkte wie beispielsweise Oregano im Fokus der Betrüger. Durch den Anteil der importierten Kräuter kann der Bedarf nicht gedeckt werden. Durch Beimengungen anderer getrockneter Pflanzen soll die Menge erhöht und die Nachfrage befriedigt werden. In der Europäischen Union werden jährlich rund 100.000 Tonnen Kräuter und Gewürze produziert und über 300.000 importiert. Das Problem: Vor allem Kräuter und Gewürze durchlaufen in der Regel eine lange Lieferkette durch mehrere Länder. Sie werden meist in kleinen landwirtschaftlichen Entwicklungsländern angebaut und wandern durch zahlreiche Zwischenhandelsstationen, was die Überwachung deutlich erschwert.
Was wird getan, um Food Fraud bei Kräutern und Co. zu bekämpfen?
Innerhalb der EU wurden in den vergangenen Jahren mehrere Massnahmen etabliert, um Food Fraud-Fälle aufzudecken und gezielt zu bekämpfen. Seit 2019 gilt eine neue EU-Verordnung. Diese gibt unter anderem vor, dass bei der amtlichen Kontrolle nicht nur die Lebensmittelsicherheit geprüft wird, sondern insbesondere das Risiko von betrügerischen Praktiken beachtet wird. Mit verschiedenen Kontrollprogrammen wird inzwischen gegen den Lebensmittelbetrug vorgegangen. So hat die EU 2021 den ersten EU-weit koordinierten Kontrollplan zur Echtheit von Gewürzen und Kräutern initiiert. Insgesamt wurden fast 10.000 Analysen an rund 1.900 Proben aus 21 EU-Mitgliedstaaten sowie der Schweiz und Norwegen untersucht. Neben Oregano wurden unter anderem Safran, Chili oder Pfeffer analysiert. In knapp 50 Prozent der untersuchten Oregano-Proben wurde Laub des Olivenbaums gefunden.
Warum steht die Schweiz bei der Food Fraud-Bekämpfung in der Kritik?
Zur Bekämpfung von Lebensmittelbetrug in der Schweiz hat der Bund die Plattform „Coordination Food Fraud“ (COFF) ins Leben gerufen. Diese setzt sich aus verschiedenen Bundesämtern sowie kantonalen Lebensmittelvollzugsbehörden zusammen. Abhängig von aktuellen Themen werden weitere Kontrollprogramme umgesetzt, wie beispielsweise die obige Prüfung zur Echtheit von Gewürzen und Kräutern. Zusätzlich betreibt das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) ein Früherkennungssystem für die Sicherheit von Lebensmitteln. Mit Hilfe von Datenbanken sowie durch den Austausch mit verschiedenen Experten werden gesellschaftliche und ökologische Veränderungen, technologische Entwicklungen und ökonomische Trends überwacht und diskutiert. Das Ziel: frühzeitig neue Gefahren wie Lebensmittelbetrug erkennen und Vorkehrungen für die Verbrauchersicherheit einleiten.
Diese Massnahmen gehen der Eidgenössischen Kommission für Konsumentenfragen (EKK) nicht weit genug. Die Regelungen der Schweiz seien nicht streng genug, um einen Grossteil der Food Fraud-Fälle aufzudecken – die rechtlichen Grundlagen nicht ausreichend an die zunehmende Bedrohung durch Lebensmittelbetrug angepasst. Eine auf Food Fraud spezialisierte Einheit, wie sie bereits in mehreren europäischen Mitgliedsstaaten etabliert wurde, fehle in der Schweiz bislang. Die Informationen zu Fällen von internationalem Lebensmittelbetrug würden über eine Plattform der EU-Kommission ausgetauscht, von der die Schweiz wegen fehlender bilateraler Abkommen ausgeschlossen sei. Sie erfahre deshalb kaum oder verzögert von Betrugsfällen in den Nachbarländern, so die EKK.
Empfohlen und gefordert wird die Bildung eines behördenübergreifenden Expertenteams – indem beispielsweise die COFF ausgebaut wird – sowie strengere gesetzliche Grundlagen, um gezielt gegen Food Fraud in der Schweiz vorzugehen.
Wie können sich Unternehmen innerhalb der Lieferketten schützen?
Laut BLV sind die Lebensmittelbetriebe selbst in der Pflicht. Sie sollen durch zuverlässige Selbstkontrollen dafür sorgen, dass ihre Waren die gesetzlichen Anforderungen erfüllen und nicht gesundheitsgefährdend sind. Entsprechend der Guten Herstellungspraxis (GHP) müssen Unternehmen ihre Lebensmittel regelmässig untersuchen oder untersuchen lassen und die Ergebnisse dokumentieren. Durch verschiedene molekularbiologische Methoden können spezialisierte Labore wie Biolytix Produkte in den einzelnen Bestandteilen analysieren und damit einen wesentlichen Beitrag für die Sicherheit von Lebensmitteln leisten. Hellhörig werden sollten Unternehmen in jedem Fall, wenn Lieferanten hochwertige Rohstoffe zum Niedrigpreis anbieten. Neben Stichprobenanalysen der Erzeugnisse selbst, gilt es die gesamte Lieferkette zu überwachen, um potenzielle Schwachstellen aufzudecken, an denen es zu Verfälschungen kommen kann. Hilfreich hierfür sind Datenbanken, die bekannte Food-Fraud-Fälle sowie andere relevante Informationen enthalten.